Grundrechte

Unterlassen der Vorlage an den EuGH kann gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßen

Jetzt hat eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht Erfolg gehabt, weil das in der Sache entscheidende Fachgericht es unterlassen hatte, eine Zweifelsfrage bei der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Das Bundesverfassungsgericht sieht im konkreten Verfahren nicht nur einen einfachen Verstoß gegen die Vorlagepflicht, sondern eine unvertretbare Überschreitung des dem Fachgericht zukommenden Beurteilungsrahmens. In diesem Fall hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. (Vgl. Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 3/2018 vom 11. Januar 2018, 2 BvR 424/17).

Nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind bei Zweifeln über die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht die nationalen Gerichte verpflichtet, die Zweifelsfragen dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Damit soll eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedsstaaten erreicht werden. Solche Fälle sind dann gegeben, wenn nationale Gerichte Vorschriften des Unionsrechts anwenden müssen und über deren Anwendung und Auslegung Zweifelsfragen bestehen.

Art. 101 Abs. 1 S. 1 des Grundgesetzes gibt jedem einen Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Es dürfen über eine Rechtssache daher nur die Gerichte entscheiden, die dazu auch gesetzlich berufen sind. Ist danach eine Entscheidung über eine bestimmte Frage durch den Europäischen Gerichtshof vorgesehen, dann verstößt es gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter, wenn ein anderes Gericht über diese Frage entscheidet.

Aber nicht jede fehlerhafte Entscheidung über die Frage der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof führt zu einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht überprüft lediglich, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Dies ist unter anderem der Fall, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht – wie hier – im Falle einer unvollständigen EuGH-Rechtsprechung den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (Bundesverfassungsgericht, a. a. O.).

In der Konsequenz kommt dem Fachgericht die Aufgabe zu, sich über die Auslegung der fraglichen unionsrechtlichen Vorschrift Klarheit zu verschaffen. Hierbei ist auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auszuwerten. Schließlich muss das Fachgericht sich eine vertretbare Meinung dazu bilden, ob eine Zweifelsfrage zur Anwendung und Auslegung der fraglichen unionsrechtlichen Vorschrift vorliegt oder nicht. Einen Verstoß, der zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde führen kann, liegt dann vor, wenn die Klärung durch das Fachgericht zu einer nicht mehr vertretbaren Entscheidung führt und dadurch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof unterbleibt.