Zivilrecht

Erfolgsaussichten von Berufungsverfahren in Zivilsachen

Warum nicht immer dann, wenn ein Urteil der ersten Instanz falsch ist, die Berufung zum Erfolg führen wird.

Das Berufungsverfahren

Mit der Berufung können Urteile der ersten Instanz angegriffen werden, wenn entweder im Urteil der ersten Instanz die Berufung zugelassen worden ist oder der Wert der Beschwer 600 Euro übersteigt. Die Zulassung der Berufung im Urteil der ersten Instanz ist eher selten anzutreffen. Der Wert der Beschwer ergibt sich aus dem, was der Berufungsführer als Rechtsnachteil geltend macht. Beispiele: Beantragt der Kläger in der ersten Instanz die Verurteilung des Gegners zur Zahlung von 590 Euro und weist das Amtsgericht die Klage ab, dann ist die Berufung mit dem Ziel, die Verurteilung zur Zahlung von 590 Euro zu erreichen, nicht zulässig. Weist das erstinstanzliche Gericht die Klage auf Zahlung von 6.500 Euro nach teilweiser Verurteilung zur Zahlung von 6.000 Euro im Übrigen ab, ist die Berufung ebenfalls unzulässig, weil der Kläger nur mit 500 Euro unterliegt. Der Beklagte kann hingegen Berufung einlegen, wenn er die Verurteilung ganz oder zumindest um mehr als 600 Euro angreifen will. Wird eine Klage auf Zahlung von 601 Euro komplett abgewiesen, kann der Kläger in Berufung gehen, weil der Wert der Beschwer 600 Euro übersteigt.

Das Urteil der ersten Instanz wird zunächst zugestellt. Vom Zeitpunkt der Zustellung an hat die Partei, die Berufung einlegen will, einen Monat lang damit Zeit, einen Schriftsatz beim Berufungsgericht einzureichen, aus dem sich ergeben muss, dass Berufung eingelegt wird und gegen welches Urteil welchen Gerichts (“… wird gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 23. Dezember 2011 mit dem Aktenzeichen 601 C 754/11 Berufung eingelegt.”). Hierbei sind die Formvorschriften der ZPO zu beachten. Danach hat die berufungsführende Partei noch einen weiteren Monat Zeit, mit einem Schriftsatz vorzutragen, mit welchem Ziel die Berufung geführt wird und aus welchen Gründen die Berufung aus Sicht der berufungsführenden Partei Erfolg haben wird. Hierbei wird es regelmäßig darauf ankommen darzulegen, dass die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts auf einem Fehler beruht oder noch Tatsachen dem Gericht vorzutragen sind, die zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz nicht haben geltend gemacht werden können.

Das Berufungsgericht stellt den Berufungsschriftsatz und dann auch den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung der Gegenseite zu. Ggf. setzt es der Gegenseite eine Frist, binnen der sie vortragen kann, wie sie zur Berufung des Gegners steht.

Weiter prüft das Berufungsgericht nach Vorliegen der Berufungsbegründung, ob die Berufung form- und fristgerecht eingelegt worden ist und ob sie Aussicht auf Erfolg hat. Ist die Berufung z. B. zu spät eingelegt worden oder nicht in der gehörigen Form, wird das Berufungsgericht dies dem Berufungsführer mitteilen und ankündigen, die Berufung mit Beschluss zu verwerfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Ergibt sich aus einer etwaigen Stellungnahme des Berufungsführers nicht noch ein Grund, die Berufung trotzdem für zulässig zu erachten (z. B. weil mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung glaubhaft gemacht wird, dass die Berufung nicht hat fristgerecht eingereicht werden können), wird die Berufung mit Beschluss verworfen. Dann ist nach Zustellung des Beschlusses das Berufungsverfahren beendet.

Ist die Berufung formell zulässig (also form- und fristgerecht) eingelegt worden, prüft das Gericht, ob bereits nach Vorliegen der Berufungsbegründung sich zeigt, dass die Berufung keinen Erfolg haben wird. Ist das Kollegium (Kammer bzw. Senat) einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (insbesondere weil das erstinstanzliche Gericht alles richtig gemacht hat), dann wird hierauf hingewiesen. Der Berufungsführer kann in der ihm zu gewährenden Frist entweder die Berufung zurücknehmen, nichts tun oder Stellung nehmen. Bleibt das Berufungsgericht einstimmig bei seiner Auffassung (und liegen die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vor), wird die Berufung mit einstimmigem Beschluss zurückgewiesen (§ 522 Abs. 2 ZPO).

Die Erfolgsaussichten einer Berufung in Zivilsachen

Ob eine Berufung im Einzelfall Erfolg haben wird, hängt von einer umfänglichen Prüfung ab. Das angegriffene Urteil muss sich im Ergebnis als auf einem Fehler beruhend erweisen. In Betracht kommt, dass das erstinstanzliche Gericht die Tatsachengrundlagen nicht zutreffend gewürdigt oder die einschlägigen Rechtsvorschriften nicht zutreffend angewendet hat. Damit die Berufung bei Vorliegen solcher Fehler Erfolg haben kann, muss weiter das Ergebnis – also der Tenor – der angegriffenen Entscheidung unzutreffend sein. Ein Urteil beruht auf Fehlern, wenn sich die Fehler auch auf das Ergebnis auswirken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gründe des angegriffenen Urteils zu dem Entscheidungstenor geführt haben, also eine Kausalität zwischen Fehlern der Tatsachenermittlung oder Rechtsanwendung und dem Tenor besteht, sondern die Entscheidung auch nicht mit einer anderen in Betracht kommenden Begründung aufrecht zu erhalten ist. So kann es beispielsweise passieren, dass das erstinstanzliche Gericht die Klage abweist, weil es die eingeklagte Forderung für verjährt hält. Es mag dies auf einem Irrtum über die Rechtslage beruhen. Kann das Berufungsgericht erkennen, dass es aber bereits an einer anderen Voraussetzung fehlt, so dass die Forderung gar nicht (mehr) existiert, kann die Klageabweisung also trotz des Fehlers der erstinstanzlichen Entscheidung gerechtfertigt erscheinen. Hieran zeigt sich, dass die erstinstanzliche Entscheidung zwar fehlerhaft war, aber das Ergebnis, die Klage abzuweisen, zutreffend. In so einem Fall hat die Berufung keinen Erfolg.

Noch ein Beispiel: Das erstinstanzliche Gericht holt ein schriftliches Sachverständigengutachten ein. Das Gutachten kommt zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis. Das Gericht stellt aber fest, dass der Sachverständige eine Voraussetzung falsch festgelegt hat, weil er z. B. eine Zeugenaussage falsch versteht oder von einer nicht zutreffenden Information ausgeht. Das Gericht korrigiert diesen Fehler in seinem Urteil und kommt zu einem anderen Ergebnis, indem es der Logik des Sachverständigengutachtens die zutreffende Information zugrunde legt und damit zu einem für den Kläger ungünstigen Ergebnis kommt. Das Gericht hätte im Beispielsfall seine Überlegungen mitteilen müssen, um rechtliches Gehör zu geben, unterlässt dies aber. Der Kläger legt Berufung ein und nimmt zur Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts Stellung. Es zeigt sich, dass das erstinstanzliche Gericht zwar einen Verfahrensfehler begangen, aber zutreffend entschieden hat. Die Berufung hat daher keinen Erfolg, obwohl der Kläger zutreffend einen Verfahrensfehler rügt. Dieser Verfahrensfehler wird durch die Einlegung und Begründung der Berufung praktisch geheilt. Indem der Kläger den Verfahrensfehler rügt und auch Gelegenheit hat, zur Beweiswürdigung durch die erste Instanz Stellung zu nehmen, hat der Kläger rechtliches Gehör gehabt, ohne dass dies im Ergebnis zu einer erfolgreichen Berufung führt. Da das Gericht die Klage zu Recht abgewiesen hat, wenn auch verfahrensfehlerhaft, hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

Nur ausnahmsweise kann das Berufungsgericht neuen Tatsachenvortrag berücksichtigen (§ 531 ZPO), nämlich wenn der Tatsachenvortrag nicht in der ersten Instanz vorgebracht werden konnte oder brauchte, dem Berufungsführer also nicht vorzuhalten ist, er hätte die geltend gemachten Tatsachen bereits in der ersten Instanz vorbringen können. Wohl aber kann das Berufungsgericht Beweis erheben, wenn es feststellt, dass das erstinstanzliche Gericht dies versäumt hat.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, ein Berufungsverfahren durchzuführen. Zeigt sich zur Überzeugung aller Mitglieder des zuständigen Spruchkörpers (am Landgericht: Kammer, am Oberlandesgericht: Senat), dass die Berufung – angesichts der Berufungsbegründung, der angegriffenen Entscheidung und der Aktenlage – offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und kein rechtlicher Grund vorliegt, gleichwohl eine mündliche Verhandlung durchzuführen (hierzu näher: § 522 Abs. 2 ZPO), dann weist das Berufungsgericht den Berufungsfüher hierauf hin und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Akzeptiert der Berufungsführer die Ansicht des Berufungsgerichts, wird er in der Regel die Berufung zurücknehmen, um einen Teil der Kosten des Verfahrens zu sparen. Ansonsten teilt der Berufungsfüher meist mit, dass entweder das Berufungsgericht entscheiden soll, wobei zumeist auch die abweichende Auffassung des Berufungsführers dargelegt wird. Bleibt das Berufungsgericht bei seiner Auffassung, weist es die Berufung mit Beschluss zurück.

Kommt das Berufungsgericht nicht einstimmig zur Auffassung, dass die Berufung offensichtlich aussichtslos ist, wird eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Es gibt dann aus Sicht der Parteien mehrere Varianten, wie das Verfahren ausgehen wird: das Berufungsgericht könnte die angegriffene Entscheidung abändern, weil die Berufung (vielleicht auch nur zum Teil) erfolgreich ist, es könnte aber auch – wenn auch vielleicht nicht einstimmig – zur Überzeugung kommen, dass die Berufung unbegründet ist, also nach der Verhandlung die Berufung zurückweisen. Kommt es zum Termin, ist damit allein also über die Frage, ob die Berufung Aussicht auf Erfolg hat, nichts gesagt.

Wenn man sich also überlegt, ob man in die Berufung gehen soll, muss man prüfen, ob es – selbst wenn Fehler der anzugreifenden Entscheidung offensichlich sind – am Ende für das Berufungsgericht einen Grund geben wird, zu einer im Ergebnis abweichenden Entscheidung zu kommen.