Zivilrecht

Neue Anforderungen an Zurückweisung aussichtsloser Berufungen

(Geändert) Am 7. Juli 2011 hat der Bundestag beschlossen, die Voraussetzungen des § 522 ZPO für die Zurückweisung der aussichtslosen Berufung durch Beschluss neu zu fassen. In Kürze dürfte das vom Bundestag beschlossene Änderungsgesetz verkündet werden und in Kraft treten.

Für jemanden, der gegen ein Urteil der ersten Instanz mit der Berufung vorgeht, kann es mit dem Berufungsverfahren oftmals schnell vorbei sein, wenn das für die Berufung zuständige Kollegialgericht (die Kammer am Landgericht oder der Senat am Oberlandesgericht) davon überzeugt ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Sollte nicht aus anderen in § 522 Abs. 2 ZPO genannten Gründen es erforderlich sein, eine Entscheidung nach einer mündlichen Verhandlung zu treffen, kann es passieren, dass das Berufungsgericht mit einstimmigen Beschluss die Berufung zurückweist. Nach der bisherigen Rechtslage hat dies zu geschehen.

Vor der Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss muss das Berufungsgericht den Berufungskläger auf die Absicht hinweisen, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen zu wollen. Ist dies getan, und der Berufungskläger bringt in seiner ihm freigestellten Stellungnahme keine Gründe vor, die das Gericht von seinem Plan abrücken lassen, durch einstimmig gefassten Beschluss die Berufung zurückzuweisen, ist mit dem Beschluss, mit dem die Berufung zurückgewiesen wird, im Regelfall der Zivilrechtsstreit beendet.

Die mündliche Verhandlung über eine Rechtssache wird von vielen als Chance verstanden, das Gericht im direkten Gespräch von seinem Standpunkt zu überzeugen. Das Bundesverfassungsgericht etwa sieht in der mündlichen Verhandlung den Ort, der notwendig ist, um in schwierigen Rechtsfragen die Entscheidung vorzubereiten. Die Bedeutung der mündlichen Verhandlung hat das Bundesverfassungsgericht etwa in Entscheidungen betont, in denen es über Verfassungsbeschwerden gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe aus Rechtsgründen entschieden hat.

Auch vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass immer wieder kritisiert worden ist, dass der Gesetzgeber den Berufungsgerichten die Möglichkeit gegeben hat, Berufungen auch ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn sie einstimmig zu der Auffassung gelangen, dass eine Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Gesetzgeber hat nun die Anforderungen präzisiert, unter denen durch einstimmigen Beschluss die Berufung zurückgewiesen werden kann. Es genügt nach der Änderung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht mehr einfach die Überzeugung des Berufungsgerichts, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Vielmehr muss es zusätzlich davon überzeugt sein, dass die Aussichtslosigkeit der Berufung offensichtlich ist. Die aufgeworfenen Tat- und Rechtsfragen müssen nach der einstimmigen Überzeugung des Berufungsgerichts ohne Zweifel beantwortet werden können. Weiter muss das Berufungsgericht davon überzeugt sein, dass eine mündliche Verhandlung keinen Erkenntnisgewinn bringt, eine mündliche Verhandlung daher nicht geboten erscheint. Wann es geboten erscheint, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, obgleich eine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, werden die Berufungsgerichte in Zukunft herausfinden müssen. Es soll etwa geboten sein, über die Berufung mündlich zu verhandeln, wenn die Sache für eine Partei von existenzieller Bedeutung ist. Unter Umständen kann die mündliche Verhandlung für den Berufungskläger noch eine letzte Chance sein, das Gericht davon zu überzeugen, dass das angegriffene Urteil abzuändern ist. Diese Chance allerdings dürfte bei einer offensichtlich aussichtslosen Berufung sehr gering sein. Auch im Vergleich auch zur Möglichkeit, noch schriftlich auf den Hinweis hin Stellung zu nehmen, dass die Zurückweisung beabsichtigt sei. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass auch bisher schon die Berufungsgerichte es sich mit der Möglichkeit, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, nicht unbedingt leicht gemacht haben, sondern vielmehr der Beschlussfassung eingehende Überlegungen zugrunde liegen.

Prognosen darüber, was sich in der Rechtswirklichkeit ändern wird, sind schwer anzustellen. Ob die neue Voraussetzung der Offensichtlichkeit etwas an der Rechtspraxis ändert, ist abzuwarten. Die Ausfüllung des Begriffs mit der Aufgabe, sich einstimmig die Überzeugung zu bilden, dass die aufgeworfenen Tatsachen- und Rechtsfragen ohne Zweifel beantwortet werden können, dürfte eher nicht zu einer Veränderung des Zurückweisungsverhaltens der Berufungsgerichte führen. Denn auch bisher dürften die Berufungsgerichte sich daran orientiert haben, dass Zweifel nicht verbleiben und man sich von einer mündlichen Verhandlung keine neuen Erkenntnisse verspricht.

Weiter ändert sich, dass gegen Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 ZPO, wenn die Beschwer 20.000 Euro übersteigt, die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist. Das Berufungsgericht wird auch mit Blick auf diese Regelung die Ausführlichkeit der Beschlussgründe zu bestimmen haben (z. B. Wiedergabe der Anträge, Mitteilungen zum Sach- und Streitstand, den tatsächlichen Feststellungen; vgl. dazu die sich fortentwickelnde Rechtsprechung des BGH zu § 540 ZPO, zuletzt: Versäumnisurteil vom 24. Februar 2011, VII ZR 169/10, Urteil vom 25. Mai 2011, IV ZR 59/09).