Grundrechte

Unterlassen der Richtervorlage vor das Bundesverfassungsgericht verstößt gegen gesetzlichen Richter

Unterlässt es ein Gericht entgegen Artikel 100 Grundgesetz, dem Bundesverfassungsgericht einen Fall vorzulegen, obwohl es das anzuwendende Gesetz für verfassungswidrig hält, verletzt dies den Anspruch auf den Gesetzlichen Richter aus Artikel 101 Grundgesetz. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 16. Januar 2015 in einem Fall entschieden, in dem der Bundesgerichtshof eine aus seiner Sicht verfassungswidrige Norm im Wege der einschränkenden Auslegung nicht angewendet hat.

Der Bundesgerichtshof hatte über einen Fall entschieden, in dem es um die Höhe einer Entschädigung für den Entzug eines Grundstücks ging. Eine Gemeinde hatte einem Grundstückseigentümer nicht die beantragte Baugenehmigung erteilt, weil sie die Baulücke zu einer Grünfläche weiterentwickeln wollte. Als die Gemeinde das Grundstück vom Eigentümer übernommen hatte, war der Eigentümer zu entschädigen. Im Streit war danach die Höhe der Entschädigung. Der Bundesgerichtshof hatte in der Revisionsinstanz eine höhere Entschädigung für richtig befunden als sie die Enteignungsbehörde leisten wollte. Um die höhere Entschädigung zusprechen zu können, war es aber notwendig, eine Vorschrift nicht anzuwenden, die eine geringere Entschädigung zur Folge hat.

Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung erachtete das Bundesverfassungsgericht für nicht mehr zulässig. Hätte der Bundesgerichtshof die Vorschrift richtig ausgelegt, hätte der Bundesgerichtshof angesichts seiner Auffassung, dass die Vorschrift dann nicht verfassungskonform sei, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Das Bundesverfassungsgericht wäre infolge des grundgesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens dann zur Entscheidung berufen gewesen. Artikel 101 Grundgesetz gewährt jedem den gesetzlichen Richter. Durch die methodisch fehlerhafte Auslegung der fraglichen Entschädigungsvorschrift seien die Parteien des Verfahrens insoweit dem gesetzlichen Richter entzogen worden, als die Frage der Vereinbarkeit der betreffenden Vorschrift nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden war.

(Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 5/2015 vom 27. Januar 2015, 1 BvR 2142/11; Beschluss vom 16. Januar 2015)